LEA & LOLA
SCHWANGERSCHAFT
Erster Teil
Erster Teil
(1)
Weshalb kann ich nicht glauben, dass ich ganz einfach dicker und dicker
werde (hoffentlich hauptsächlich mein Bauch) und dass dann, wenn es soweit ist,
aus mir heraus ein gesundes, handfestes Baby kommt. Weshalb muss ich jede halbe
Stunde glauben, ich werde das klitzekleine Baby verlieren.
Weil ich es nicht bestimmen kann. Weil ich nichts oder jedenfalls
gewiss nicht alles zu sagen habe: das Baby wird bleiben oder gehen, und es wird
dabei keine Rücksicht nehmen auf meine abergläubischen Täuschungsversuche. Zu
denen gehört die feste Annahme, dass, wenn ich mir etwas wünsche, ich es
niemals bekomme, es nie geschieht…also besser so tue, als wünsche ich es mir
nicht…
Ich traue mich nicht, mich auf dich zu freuen, weil ich riesige Angst
habe. Genau so sehr, dich zu verlieren, wie dich zu gebären.
Möchtest du denn das Kind einer solchen Mutter sein? Seit du in mir
wächst, bin ich in dunkler Depression – welches Kind möchte denn in solch einem
Bauch gross werden, im Bauch einer Frau, die sich nicht mag, und die vor
Lebensangst ganz verkrampft ist?
Ich kann es ja schon gar nicht begreifen, wieso dein zukünftiger Vater
mich liebt…
Ach du meine Güte, ich, die ich so gerne grossherzig, ausgeglichen,
liebevoll, ruhig strahlend wäre, komme mir vor wie eine vertrocknete, gequälte,
nörgelige Greisin…
(2)
Ich schreibe im Nebel.
Mein Hirn und mein Bauch senden einander traurige Wellen zu.
Mir ist schlecht, die meiste Zeit.
Niemals, niemals, niemals werde ich es schaffen, ein Baby, ein Kind zu ertragen.
Morgens, Mittags, Abends, Nachts, immer da sein, ich will in Ruhe schlafen, ich
will mich hinsetzen können, wenn ich erschöpft bin.
Und der Haushalt, der Garten, die Weide, die Tiere…und was wird mit
alledem, was ich schreiben will und muss? Mit dem Geld, das ich verdienen will
und muss?
Was ist eigentlich mit mir? Es gibt Frauen, die haben Ganztagsjobs,
einen Haushalt, zwei kleine Kinder, einen Mann, (sowie einen Garten, Weideland,
Tiere…) und sie leben.
Wie, wie, wie machen sie das?
Weshalb kann ich das nicht? Will ich das nicht? Kann ich das nicht
wollen?
Mein Kopf will schon, in meiner Phantasie. In meiner Phantasie habe ich
unzählige Kinder, Pferde, Hunde, Katzen, Freunde, mindestens einen Mann, bin
immer in voller Form, arbeite mit Energie und Klugheit, verdiene einen Haufen
Geld mit weltumwerfenden Büchern und meinen Illustrationen, und bin gesund,
fröhlich, backe sogar noch Waffeln und koche Marmelade…
In Wirklichkeit habe ich das Gefühl, ich bin genau das Gegenteil: alles
ist mir zu viel, ich fühle wie eine Zange an meiner Gurgel sobald ich etwas
mehr als drei Tage lang hintereinander tun muss. Aber nicht nur körperliche
Arbeit, bzw. der Gedanke daran macht mich fertig: auch mit dem Schreiben und
Zeichnen schlage ich mich immer wieder herum. Ich drehe grosse Kreise um meinen
Computer oder meinen Arbeitstisch, vorwärts, rückwärts, und wenn wirklich
nichts mehr mich vom arbeiten abhalten kann, fallen mir fast die Augen zu.
Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt ein oder zwei Zeilen in meinem Leben
zustande gebracht und ein oder zwei Farben gemischt habe…
Ich bin nicht immer so. Aber ich kann mir die Zeiten, in denen ich
Energie und Frohsinn habe, einfach nicht merken.
(3)
Heute Nacht wachte ich auf, weil es mich links im Bauch durchfuhr wie
ein Messerstich, (ein milder Messerstich, falls es das gibt, aber immerhin).
Ich legte mich anders hin, weil sich der Schmerz mehrere Male
wiederholte. Aber auch auf der anderen Seite kam er wieder.
Oh je, dachte ich, bestimmt kommt jetzt gleich das Baby, winzig klein,
in einem Blutbad aus mir raus, oh je!
Ich legte mich auf den Rücken, legte meine Hände auf meinen ja noch
ganz kleinen Bauch, und rede ihm zu: „Bleib’ bloss da! Mir ist nicht schon seit
zwei Monaten schlecht für nichts und wieder nichts, und überhaupt…“
Überhaupt ist das ja eine fürchterliche Angelegenheit:
Erst sagt man mir, na, wenn du die ersten drei Monate hinter dir hast,
dann geht es alles reibungslos seinen Gang. Denkste! Ich kenne höchstpersönlich
mehrere Frauen, die ihr Baby NACH dem dritten Monat verloren haben, und meine
Schwester erzählte sogar von einem sechsten Monat! Und wenn man das Kind nicht
vor der Geburt verliert, kann es tot geboren werden oder behindert oder sonst
wie gestört, und wenn es gesund geboren wird, fällt es am zweiten Tag vom
Wickeltisch auf den Kopf oder erstickt in der vierten Nacht oder wurstelt mit
einem Jahr den Finger in eine Steckdose oder fällt mit drei Jahren in einen
Fluss und ertrinkt, mit fünf Jahren unter ein Auto, mit neun wird es
vergewaltigt, mit zwölf drogenabhängig und selbst wenn es mit fünfzehn, mit
zwanzig, mit dreissig, kurz, egal wann, aber vor mir, stirbt oder ein Unglück
erleidet – nicht auszudenken!!
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