Freitag, 29. März 2013

Lea und Lola (Aus: "Darüber spricht man nicht")


                                             LEA & LOLA            




                               SCHWANGERSCHAFT 

                                         Erster Teil

(1)

Weshalb kann ich nicht glauben, dass ich ganz einfach dicker und dicker werde (hoffentlich hauptsächlich mein Bauch) und dass dann, wenn es soweit ist, aus mir heraus ein gesundes, handfestes Baby kommt. Weshalb muss ich jede halbe Stunde glauben, ich werde das klitzekleine Baby verlieren.

Weil ich es nicht bestimmen kann. Weil ich nichts oder jedenfalls gewiss nicht alles zu sagen habe: das Baby wird bleiben oder gehen, und es wird dabei keine Rücksicht nehmen auf meine abergläubischen Täuschungsversuche. Zu denen gehört die feste Annahme, dass, wenn ich mir etwas wünsche, ich es niemals bekomme, es nie geschieht…also besser so tue, als wünsche ich es mir nicht…

Ich traue mich nicht, mich auf dich zu freuen, weil ich riesige Angst habe. Genau so sehr, dich zu verlieren, wie dich zu gebären.
Möchtest du denn das Kind einer solchen Mutter sein? Seit du in mir wächst, bin ich in dunkler Depression – welches Kind möchte denn in solch einem Bauch gross werden, im Bauch einer Frau, die sich nicht mag, und die vor Lebensangst ganz verkrampft ist?
Ich kann es ja schon gar nicht begreifen, wieso dein zukünftiger Vater mich liebt…

Ach du meine Güte, ich, die ich so gerne grossherzig, ausgeglichen, liebevoll, ruhig strahlend wäre, komme mir vor wie eine vertrocknete, gequälte, nörgelige Greisin…


(2)

Ich schreibe im Nebel.
Mein Hirn und mein Bauch senden einander traurige Wellen zu.
Mir ist schlecht, die meiste Zeit.
Niemals, niemals, niemals werde ich es schaffen, ein Baby, ein Kind zu ertragen. Morgens, Mittags, Abends, Nachts, immer da sein, ich will in Ruhe schlafen, ich will mich hinsetzen können, wenn ich erschöpft bin.
Und der Haushalt, der Garten, die Weide, die Tiere…und was wird mit alledem, was ich schreiben will und muss? Mit dem Geld, das ich verdienen will und muss?

Was ist eigentlich mit mir? Es gibt Frauen, die haben Ganztagsjobs, einen Haushalt, zwei kleine Kinder, einen Mann, (sowie einen Garten, Weideland, Tiere…) und sie leben.
Wie, wie, wie machen sie das?
Weshalb kann ich das nicht? Will ich das nicht? Kann ich das nicht wollen?
Mein Kopf will schon, in meiner Phantasie. In meiner Phantasie habe ich unzählige Kinder, Pferde, Hunde, Katzen, Freunde, mindestens einen Mann, bin immer in voller Form, arbeite mit Energie und Klugheit, verdiene einen Haufen Geld mit weltumwerfenden Büchern und meinen Illustrationen, und bin gesund, fröhlich, backe sogar noch Waffeln und koche Marmelade…

In Wirklichkeit habe ich das Gefühl, ich bin genau das Gegenteil: alles ist mir zu viel, ich fühle wie eine Zange an meiner Gurgel sobald ich etwas mehr als drei Tage lang hintereinander tun muss. Aber nicht nur körperliche Arbeit, bzw. der Gedanke daran macht mich fertig: auch mit dem Schreiben und Zeichnen schlage ich mich immer wieder herum. Ich drehe grosse Kreise um meinen Computer oder meinen Arbeitstisch, vorwärts, rückwärts, und wenn wirklich nichts mehr mich vom arbeiten abhalten kann, fallen mir fast die Augen zu.
Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt ein oder zwei Zeilen in meinem Leben zustande gebracht und ein oder zwei Farben gemischt habe…

Ich bin nicht immer so. Aber ich kann mir die Zeiten, in denen ich Energie und Frohsinn habe, einfach nicht merken.


(3)

Heute Nacht wachte ich auf, weil es mich links im Bauch durchfuhr wie ein Messerstich, (ein milder Messerstich, falls es das gibt, aber immerhin).
Ich legte mich anders hin, weil sich der Schmerz mehrere Male wiederholte. Aber auch auf der anderen Seite kam er wieder.
Oh je, dachte ich, bestimmt kommt jetzt gleich das Baby, winzig klein, in einem Blutbad aus mir raus, oh je!
Ich legte mich auf den Rücken, legte meine Hände auf meinen ja noch ganz kleinen Bauch, und rede ihm zu: „Bleib’ bloss da! Mir ist nicht schon seit zwei Monaten schlecht für nichts und wieder nichts, und überhaupt…“

Überhaupt ist das ja eine fürchterliche Angelegenheit:
Erst sagt man mir, na, wenn du die ersten drei Monate hinter dir hast, dann geht es alles reibungslos seinen Gang. Denkste! Ich kenne höchstpersönlich mehrere Frauen, die ihr Baby NACH dem dritten Monat verloren haben, und meine Schwester erzählte sogar von einem sechsten Monat! Und wenn man das Kind nicht vor der Geburt verliert, kann es tot geboren werden oder behindert oder sonst wie gestört, und wenn es gesund geboren wird, fällt es am zweiten Tag vom Wickeltisch auf den Kopf oder erstickt in der vierten Nacht oder wurstelt mit einem Jahr den Finger in eine Steckdose oder fällt mit drei Jahren in einen Fluss und ertrinkt, mit fünf Jahren unter ein Auto, mit neun wird es vergewaltigt, mit zwölf drogenabhängig und selbst wenn es mit fünfzehn, mit zwanzig, mit dreissig, kurz, egal wann, aber vor mir, stirbt oder ein Unglück erleidet – nicht auszudenken!!  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen