Freitag, 2. August 2013

Noch etwas zu Lady Chatterley und ihrem Lover



Beide – er und sie - fühlen sich in ihrem jeweiligen Leben miserabel.
Beide sind sich, mehr oder weniger, dessen bewusst, dass nicht nur die äusseren Umstände – Krieg, Krise, Industrialisierung – sie zur Verzweiflung bringen, sondern auch ein krasser Mangel an körperlicher Nähe und Wärme, den ausser ihnen, so scheint es, niemand sonst in ihrem Umfeld empfindet.

Sie begegnen sich.
Es braucht mehrere Male.
Beide zögern, jeder auf seine Art.
Es braucht Zeit.
Sie lassen sich Zeit.

Jedes Gespräch, jeder Austausch, jede Begegnung ist auf sehr persönlicher Ebene, darauf bauen sie auf, spüren, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft einander vertrauen können, gehen aufeinander zu, instinktiv. Werden ein heimliches Paar, und dann kommt jener gewaltige Schritt, wegen welchem ich noch mal auf sie zurückkomme. Nach einem ganz und gar intensiven Zusammensein, trifft jeder für sich eine meines Erachtens sehr wichige Entscheidung:

Er kann nach ihrem Abschied keine Ruhe finden, verbringt eine schwierige Nacht, hält es alleine nicht mehr aus, geht schliesslich im Morgengrauen bis zu ihrem Haus, steht in der Dämmerung, sehnsüchtig, denkt, er wäre zu allem bereit, um bei ihr zu sein…
Und dann besinnt er sich: nein, so geht es nicht. Er muss, so spürt er, mit dieser seiner Einsamkeit zurande kommen, und mit dem neuen Element, nämlich mit seiner neuen Gefährtin, die ihn immer mal wieder aus seiner Einsamkeit erlöst – aber eben nur immer mal wieder. Nein, sagt er sich, ich muss sie weiterhin frei lassen. Ihr Gelegenheit geben, freiwillig zu mir zukommen. Und das kann sie nicht, wenn ich sie bedränge.
Er kehrt um und geht nach Hause.

Fast zur gleichen Zeit – ein paar Stunden vorher – überlegt sie: Ich weiss, ich könnte mich zurückhalten. Den Mann vielleicht nur als Sexobjekt benutzen.
Viel schwerer ist es für sie, sich ganz zu öffnen – in jeder Hinsicht. Körper, Herz, Verstand. Sicherer wäre es, wenn sie das nicht tut.
Aber sie spürt, dass sie ohne dem nicht voran kommen, in ihrer Verzweiflung stecken bleiben wird, wie bisher.
Sie sagt sich schliesslich: ich möchte es – ihm nahe sein in jeder Hinsicht, und will versuchen, mich nicht mehr zu verbergen.

Das finde ich mutig und wunderbar.
Ein Risiko eingehen, ja. Unbedingt sogar, weil ohnedem keine tiefe menschliche Beziehung auf die Dauer einen Sinn macht, und sie beide nach Sinn suchen. Aber nicht irgendeines und nicht um jeden Preis.

Leidenschaft muss nicht unbedingt zerstörerisch sein – sie ist es nur dann, scheint mir, wenn man sie sich nicht eingesteht, nicht zu ihr steht, und stattdessen womöglich völlig den Kopf verliert. Das tut keiner von beiden – und deshalb geht diese Geschichte auch nicht schlecht aus.



Womit ich nicht behaupte, dass sie deswegen und ab da automatisch glücklich miteinander sind bis an ihr Lebensende!




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