Samstag, 8. Juni 2013

"Die Kunst des Liebens", Erich Fromm (SchriftstellerInnen und Bücher)

„L`indépendance fut toujours mon désir et la dépendance ma destinée » 
schrieb Alfred de Vigny, ich übersetze frei: 
« Unabhängigkeit war immer mein Wunsch, Abhängigkeit mein Schicksal »
Vielleicht geht es uns allen so. Mehr oder weniger. Was mich betrifft, in diesem Fall, lieber weniger als mehr...




„Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm, da geht es unbedingt um Unabhängigkeit, innere Freiheit, und über Liebe natürlich.
Zu Anfang war ich enttäuscht, etwas genervt – das Buch hat mir vor bald zwanzig Jahren, als ich es zum ersten Mal gelesen habe, so viel gegeben! Eine Art Bibel schien es mir damals (naja, dabei ist es bloß ein ganz dünnes Buch, und wenn es auch nicht von gestern stammt, sondern aus den fünfziger Jahren und immerhin aus dem vorigen Jahrhundert, ist es nicht uralt - ) Bibel trotzdem, weil eigentlich so ziemlich alles drin steht, was ein Mensch braucht, falls er ein Leben voller Liebe zu führen gedenkt…daher ja der Titel…und die von mir angedichtete bibelhafte Frömmigkeit stammt womöglich einfach vom Namen des Autors…


Obwohl…das ist es ja gerade…diesmal fand ich nämlich, dass Fromms Art, über die Menschen zu schreiben, die in der Liebe (und auch sonst) „irren“, sagen wir: umherirren, nicht gerade von der von ihm so hoch bewerteten Nächstenliebe gekennzeichnet war…eher (ehrlich gesagt) von etwas prüdem Frust.
Vielleicht sehe ich das bloß so, weil ich womöglich selber auf so`nem Irrweg bin…das kann sein…aber das nimmt nicht hinweg, dass es die starken Gefühle, die Verliebtheit genannt werden, auch wenn sie, wie jeder weiß, nicht anhalten, nun mal GIBT, ob man will oder nicht, ob man dafür ist oder dagegen. Sie als eine Art Irrtum abzutun, finde ich seltsam; und sind sie nicht außerdem oft der Anfang, der Auslöser, der einen Menschen dazu treibt, die ganze Arbeit, die die Kunst des Liebens verlangt, zu beginnen?

Wie, Fromms Meinung nach, sucht der Mensch sich seinen Partner für die erotische Liebe aus? Er sagt, es sei im Prinzip egal, wen wir lieben, bzw. wenn wir nicht alle Menschen lieben, sind wir nicht zur Liebe fähig. Ja schon – das ist sehr vernünftig – mais quand même! Aus Erfahrung scheint mir, dass Vernunft und körperliches Verlangen schlecht zusammenpassen – oder zumindest, dass körperliches Verlangen mit Vernunft nichts zu tun hat. Und erotische Liebe ohne körperliches Verlangen…ich mein` ja bloß…dass es eine komplizierte Angelegenheit ist…mit dem Verliebtsein…und deswegen trotzdem kein Irrtum…je nach Blickwinkel, nicht?
So weit zur Kritik. Ach ja, und dann auch, dass er sagt: die heutige Gesellschaft (wobei unglaublich ist, wie er 1956, vor einem halben Jahrhundert, schon sah, wo das alles hinführt, und es ist ja wohl leider, bis jetzt zumindest, kein Einhalt, lieber Herr Fromm) – also, die heutige Gesellschaft lässt nicht viel Platz für die Liebe – zumindest für Liebe, die als Kunst bezeichnet werden kann. Damit bin ich einverstanden – aber: man sollte meinen, er wisse von einer Epoche, wo das NICHT so war. WANN war das denn? Hat es nicht immer Menschen gegeben, die sich mit diesen Dingen befasst haben, andere oder dieselben, die den Mut und die Gelegenheit hatten, so weit wie möglich nach derartigen Erkenntnissen zu leben, aber vor allem immer viel mehr Menschen, die dazu nicht in der Lage waren, weil das Leben ihnen wahrhaftig keinen Platz dafür ließ – oder (für die wenigen reicheren und reichen Menschen – ich meine, die im Prinzip Zeit und Muße hätten) weil sie nicht wollten – weil die Kunst des Liebens eine hauptsächlich ernste Angelegenheit ist, Einsatz und Zeit verlangt?

Voilà. Ansonsten ist es ein Buch, das ich wichtig und gut finde; was er schreibt über den Menschen in der Konsumgesellschaft, wie sehr der moderne Mensch sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet lebt, damit bin ich, leider, vollkommen einverstanden, „(…) die nie zu einer Beziehung von Personsmitte zu Personsmitte gelangen, sondern sich lediglich höflich behandeln (…)“ (s.100).

Den letzten Teil – „die Praxis der Liebe“ (ab S.119) finde ich so gut und wichtig, dass ich ihn immer mal wieder lesen werde (also doch ein bisschen wie eine Bibel).
Er macht darauf aufmerksam, dass die Kunst des Liebens dasselbe verlangt wie jede andere Kunst: Disziplin, Konzentration, Geduld.
Ich für mich persönlich füge hinzu: und Mut. Nicht, dass er nie über Mut spricht, aber für ihn gehört er nicht zu den Hauptpfeilern der Kunst des Liebens. Für mich schon, vielleicht zeigt das nur, wie feige ich bin – sei`s drum. Und Kreativität. Und Humor.
Aber gut, ER sagt: Disziplin, Konzentration, Geduld.
Nicht sehr romantisch (ich mein` weil es ja doch um Liebe geht, nicht?), aber davon abgesehen: Damit lässt sich was anfangen.
Ein lebensfüllendes Programm. Ich jedenfalls bin weit davon entfernt auch nur eine dieser Eigenschaften weitgehend zu verkörpern. Was mich tröstet, ist: alle drei mehr als vor zehn Jahren. Wenn ich lange genug lebe, werde ich vielleicht ein wahrhaft liebendes altes Großmütterchen…




2 Kommentare:

  1. Liebe Jan,

    ich glaube, dass die Verliebtheit erstmal nur ein hormoneller Zustand ist - praktisch die Programmierung des Menschen, sich jemanden für den Nachwuchs zu besorgen. Ich sehe das ähnlich wie viele Wissenschaftler - erstmal gehts nur um Fortpflanzung. Nun ist der Mensch aber kein Neandertaler mehr (jedenfalls einige *g*) und möchte über das Körperliche hinaus mit jemandem verbunden sein und da beginnt für mich die "wahre Liebe". Wahre Liebe ist für mich, wenn ich den anderen richtig kennenlerne und ihn dann trotz aller "Fehler und Macken" immernoch will. Das heisst nicht, dass man alles mitmachen soll aus Liebe (wenn man alles über sich ergehen lässt, ist es wohl auch eher Abhängigkeit als Liebe), dass man aber bereit ist, gemeinsam einen Weg zu beschreiten und miteinander an sich und der Partnerschaft zu arbeiten. Diese Bereitschaft, die weit über das Sexuelle hinausgeht, ist für mich persönlich der "Klebstoff", der über den Fortbestand einer Beziehung entscheidet. Und die Liebe ist dann eben nicht mehr nur davon abhängig, ob der andere auch optisch passt oder sonstige Voraussetzungen erfüllt, sondern sie kommt tief aus dem Herzen - scheinbar grundlos.

    Allerdings - "wahre" Liebe und Erotik gehören für mich auch zusammen - jedenfalls in einer Partnerschaft. Die Erotik ist für mich der Teilaspekt, der zwischen Freundschaft und Partnerschaft unterscheidet.

    So jedenfalls meine Gedanken dazu :)

    Liebe Grüsse
    Maja

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  2. Liebe Maja, schön hast Du das zusammengefasst, vorallem die Sache mit den Neandertalern ;)
    Wenn es nur im Leben auch so klappen würde!
    Herzlichen Gruss,
    Jan

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