Fassungslos und grün vor Neid sah sie mit an, wie andere Menschen sich
mit etwas beschäftigen konnten und dabei alles Andere vergassen.
Gerade neulich wieder, als sie ihn von einem Amateur-Gokartrennen
abholte. Er war fertig, aber sie blieben noch eine Weile am Bahnrand stehen und
sahen zu.
Er stand neben ihr mit ein paar anderen Männern und sie diskutierten
eifrig – über die Qualität der Fahrzeuge, die Schwierigkeiten der Strecke, die
Eigenschaften der verschiedenen Teilnehmer. Jeder Pilot erzählte nach jeder
Fahrt, was ihm alles daneben gegangen war, aber auch, was ihm besonders Spass
gemacht hatte.
Sie sah leuchtende Augen, verschwitzte T-Shirts und Haare, und dachte
wieder einmal:
So ein Quatsch. Was soll diese Aufruhr. Was für einen Belang hat dieses
Rumgefahre. Sterben tun wir trotzdem alle. Merken die Leute das denn nicht?
Komme ich aus einer anderen Welt?
Immer dachte sie: So ein Unsinn. Wozu nützt das alles.
Nichts konnte sie begeistern.
Sie hatte das Gefühl, sie sei tot und leer.
Als ob sie nicht am Leben teilnehmen würde. Sollte. Durfte. Wie wenn
ihr Inneres vertrocknet wäre. Alles war nur Äusseres. Sie tat bloss immer so.
Sie lachte, sie hörte zu, sie schaute zu. Aber sie wollte nicht mitmachen.
Sobald irgendeine Aktivität anstand, wurde sie von einer
überwältigenden Müdigkeit niedergedrückt.
Früher hatte sie ja wenigstens noch die Illusion gehabt, irgendeine
aufwühlende Liebesgeschichte sei der Grund dafür, dass alles andere ihr
überflüssig und absurd schien. Wenn sie früher irgendwo stand, sass oder ging,
und so tat als lachte sie, als hörte sie zu, dann litt sie heimlich um einen
Mann, so meinte sie. Inzwischen wusste sie, dass es etwas anderes war, was sie
quälte. Und nicht eine unglückliche Liebesgeschichte.
Oder vielleicht war ihr ganzes Leben eine unglückliche
Liebesgeschichte.
…weshalb tue ich mir das an.
Weshalb ist jeder Tag, fast jede Stunde ein Kampf. Wieso.
Weshalb rede ich mir ein, dass ich mich für nichts interessiere, dass
nichts mich begeistert, dass ich leer und tot bin. Weshalb ist es so schwer für
mich, mein Leben zu leben, zu atmen, mich zu freuen, mich zu ärgern, mich
einzusetzen.
Jeden Tag mehrere Male kommen meine alten Dämonen zu mir und wollen mir
das Blut aus den Adern saugen. Jeder Gedanke – jeder – ist dann ein
zerstörender Gedanke. Jedes Gefühl ein Gefühl von grenzenloser Machtlosigkeit,
dumpfer Wut und schneidendem Schmerz. Jedes Mal muss ich alle meine Kräfte aufwenden,
um mich nicht von ihnen in die Tiefe reissen zu lassen.
Wieso ist es so grausam schwer, obwohl ich das Leben liebe. Und obwohl
ich jedes Mal, wenn meine Dämonen sich endlich beruhigt haben und ich wieder
atmen kann, so erleichtert und froh bin.
Manchmal, so wie heute, kann ich nicht mehr. Meine Kraft ist erschöpft.
Ich kann mich nicht mehr wehren.
…
Schon fühle ich das Gewicht des Dämonen, erst fast unmerklich, gar
nicht mal unangenehm, dann immer mehr, bis er ganz und schwer auf mir liegt und
ich mich keinen Millimeter mehr rühren kann. Er schlägt mir, schmerzlos aber
kräftig, seine Zähne in den Hals. Ich fühle meine Sinne schwinden, ich spüre
den Fall in die Tiefe. Die Tiefe, in der meine Seele so sehr blutet, dass ich
keinen Gedanken zu Ende denken kann, und der Sauerstoff so knapp ist, dass
meine Augen und Ohren sich schliessen, ich nicht sehen oder hören darf, nichts
ausser meiner blutenden Seele.
Ich wehre mich nicht, denn wie gesagt, dazu habe ich die Kraft nicht
mehr.
Aber ich schaue ihm zu. Ich schaue ihm genau zu.
Bis er den Blick hebt
und ich ihn erkenne.
Und er in meinen müden Augen sieht, dass ich ihn erkannt habe.
Dann steht er schwerfällig auf, schüttelt sich als sei nichts gewesen,
und geht weg.
Ich liege unbeweglich und halb bewusstlos. Aber ich spreize langsam
meine Arme von mir, hole vorsichtig Luft, und weiss, dass ich jetzt endlich,
endlich ruhen kann; vorläufig wird er sich nicht mehr an mich rantrauen.
Bis zum nächsten Mal.
Liebe Jan,
AntwortenLöschendieser Text berührt mich sehr. Auch ich kenne das, was Du da beschreibst. Und immer wieder stelle ich erneut sehr erstaunt fest, dass der Dämon verschwindet, sobald ich ihn nur erkannt habe.
Kennst Du eigentlich das Buch "Den Dämonen Nahrung geben: Buddhistische Techniken zur Konfliktlösung"? Mir hat es bei einigen Dämonen recht gut geholfen.
Liebe Grüsse
Maja
Liebe Maja, ich freu' mich über Deinen Kommentar! Komische Sache, die mit den Dämonen...der Text ist schon lange her (vielleicht war ich da in Deinem Alter?), und seitdem ist viel Wasser den Bach runtergeflossen...was nicht heissen soll, dass meine Dämonen verschwunden sind, leider, aber sie haben nicht mehr so oft Gewalt über mich wie damals. Wenn allerdings, dann ist es nicht weniger schlimm...den Titel des Buches schreibe ich mir auf.
AntwortenLöschenLiebe Grüsse,
Jan