Freitag, 24. Mai 2013

Lea und Lola (Aus: "Darüber spricht man nicht")



Schwangerschaft - Dritter Teil


…ich hatte mich so gefreut auf meinen einwöchigen Ausflug, frei und ohne Verantwortung und am Meer in Frankreich…und jetzt ist wieder nix. Nie, nie, nie bin ich glücklich.
Ich bin es leid.
„Den Augenblick geniessen“ – ha, was heisst das, bitte? ICH kenne nur Sehnsucht in die Vergangenheit und ab und zu Sehnsucht in die Zukunft, aber nichts macht mir im Augenblick selber Freude.
WO BIN ICH? Wo halte ich mich versteckt unter all den Qualen, all diesen fremden Stimmen?

…Ja grosser Gott, ich soll Mutter werden! Alles verschiebt sich…und plötzlich sitze ich ohne was da; meine unbestimmten, sehnsüchtigen, quälenden Träume lösen sich in Luft auf…

Es ist so schwer, sich von seiner Kindheit zu trennen. Traum der Kindheit. Warum komme ich nicht los? Vielleicht, weil kein „danach“ möglich schien? Als gäbe es nur diese eine Form von Leben, in dieser einen Konstellation von Eltern und Kindern, ewigen Eltern und ewigen Kindern. Mein Leben.
Kann ich denn nicht alleine ein Leben haben? Oder mit jemandem anderes? Immer meine ich, Bildern entsprechen zu müssen, am Besten Bilder von „zu Hause“, oder, wenn ich dazu zu wütend bin, Bildern von anderen Leuten oder, noch schlimmer, Reklamebildern…
All diese Menschen, die zeigen, wie sie’s „geschafft“ haben, und die erwarten, man soll ihnen Beifall klatschen und sie bewundern und neidisch in ihrem Schatten stehen…nein, das will ich nicht mehr. Aber ich will ja eben auch nicht das Gegenteil – auch ich will andere Menschen nicht dazu benutzen, MIR zu sagen, was ICH für ein Glückarsch bin…wie macht man das bloss?
Was tue ich selber anderes, wenn ich – na, zum Beispiel – putze und aufräume, bevor Besuch kommt?

Den Augenblick geniessen, das möchte ich so gerne lernen.
Den Augenblick so geniessen, wie er für MICH eigenwillige, komplizierte Person schön ist, und nicht so, wie ich MEINE, er müsste mir gefallen.

Ich muss nachdenken. Zieh’ meinen Anorak, meine Handschuhe und  Gummistiefel an, und geh’ (mit meinem Bauch) spazieren.

Hier bin ich wieder, mit roten Backen und Tropfnase.

Ist die Lösung so einfach? Das kann doch nicht sein!
„Putzen und aufräumen musst Du für Dich – innen wie aussen.“
Das ist mir auf meinem Spaziergang eingefallen.
Ach du meine Güte.
Nun. Und das tue ich ja jetzt gerade. Jedenfalls innen. Hier, alleine, wo keiner mich sieht, ich kein Publikum habe und auch kein Publikum spiele (obwohl das, wie jeder verstehen wird, als fast einziger Gast einer sehr theatralischen Pensionsbesitzerin nicht ganz einfach ist), räume ich auf. Das hätte ich nicht getan, wenn mein verdammter Computer nicht in Streik getreten wäre.
Also weiter: Mein Inneres schmerzt, ein quälender, würgender Druck…
Es ist nicht die Einsamkeit, die mir so weh tut, nein. Ich bin froh, alleine zu sein. Ich brauche es. Ich muss meine Kräfte sammeln…
Es ist, dass ich…verflucht BLIND bin.
Ich bin HERMETISCH ABGESCHLOSSEN gegen mein eigenes Glück.
Ja.
Natürlich fällt mir zu dieser Erkenntnis nichts Besseres ein, als mich zu HASSEN wegen meiner Unfähigkeit, und so drehe ich im Kreise herum.
…………………dabei spüre ich es ganz nah, ganz nah…………………
Vorhin schon, als ich dachte, ich wüsste die Lösung - ganz nahe, direkt neben mir, IN mir vielleicht doch?

Also noch mal von vorne:
Es ist keine Lösung, als „Publikum“ zu leben. Das ist zwar einerseits bequem (man schaut halt passiv den anderen beim Leben zu, das kenne ich auswendig), aber es reicht. Ich bin es leid, mir einzureden, alle Leute hätten ein interessanteres Leben als ich. Es reicht. ES REICHT.
Es ist auch keine Lösung, andere Menschen als Publikum zu benutzen. Das ist zwar einerseits bequem (man spielt halt was vor und lässt andere Leute zuschauen), aber es REICHT. Ich bin es leid, zu glauben, ich müsste anderen Leuten einreden, ich hätte ein interessanteres Leben als sie.

(Meine zwei Kinder, dies ist meine erste Liebeserklärung an Euch: Ich spüre die Versuchung, Euch als Publikum zu benutzen, so, wie ich benutzt worden bin, ha, endlich ein Publikum, das mir – vorläufig – nicht entweichen kann. Ich verspreche Euch, alles zu tun, Euch das zu ersparen. Meine Augen und mein Herz  weit auf zu halten.)

Es ist aber auch keine Lösung (und damit weiss ich am allerwenigsten was anzufangen, weil ich, ehrlich gesagt, bisher irgendwo dachte, dort läge die eigentliche Rettung!) dann eben alles Äussere, alles Materielle, alles „Schöne fürs Auge“ als Schande anzusehen und wegzulassen. Das, habe ich gedacht, wäre DIE anstrebenswerte Lösung: immer sehe ich einen Weisen in einer einsamen kleinen Hütte sein Dasein fristen, und sage mir: wenn ich es soweit gebracht habe, werde ich mit meinem Leben zufrieden sein können.
Ich bin ein hoffnungsloses Gemisch aus fanatischer Idealistin und völlig niedergeschlagener Fatalistin.
Sehr aufbauend.

Ich muss mich ausruhen. Ich weiss nicht weiter…

Hier, nach meiner Pause, erst mal die heutige Lage der Dinge:   
Trotz Strampeln und Schimpfen bin ich auch nicht anders als die, die ich anklage: ohne die Augen eines anderen Menschen auf mich gerichtet bin ich, ist mein Leben – leblos.
Ich tue nichts für mich selber. Dazu (aha!) finde ich mich nicht nett oder interessant genug, sondern tue alles immer nur in der Hoffnung, gesehen zu werden und (natürlich) Begeisterung hervorzurufen. So ist es. Und nicht anders.
Ohne Blick.
Ohne den Blick.

Gibt es denn nur das Eine oder das Andere? Gibt es denn nur: einzig und alleine für den Blick des anderen oder der anderen leben, oder ganz ohne, ganz alleine? Weshalb sehe ich mich immer ins Geheime dazu verpflichtet, verdammt, vorbestimmt, OHNE jeden Blick von Aussen leben lernen zu müssen?
Auch da bin ich keinen Schritt weiter als die, die ich anklage: nicht genug damit, dass ich ohne den Blick anderer nichts bin, nein, noch dazu ist genau das Gegenteil mein Ideal! ICH brauch doch nix und niemanden, ha!

Wie soll ich auf diesem Weg woanders hinfinden als zu folgendem Schluss:
Das Leben ist eine einzige Farce, alles ist nur Angeberei und Theater. Und da ich das nicht ertrage, hat das Leben keinen Sinn.
In diesem Sinne ist es sinnlos.
Das ist es ja, was mich fertig macht: ich will den alten, mir so bekannten Weg nicht mehr gehen, weil er mich unglücklich macht, ich nicht an ihn glaube. Die entgegengesetzte Richtung – Einsamkeit, Kargheit und Armut – machen mich genauso unglücklich.
Was dann?!
Ich will es wissen, ich fahre in ein Loch, ich muss endlich sehen, wie es ganz unten ausschaut…


Ein paar Tage später, wieder zu Hause.
Ich hab’ es genau gespürt, dort am Meer, nachdem ich unten, ganz unten war und mich von dort, wie im Wasser, mit den Füssen hochgestossen habe, um wieder aufzutauchen, mit viel Kraft:
Dass ich mich wirklich um mich und mein Leben kümmern muss, tagtäglich, liebevoll und verantwortungsbewusst.
Denn: keiner kann das an meiner Stelle tun.

Ich will’s versuchen.

Und nun - brüte ich meine Kinderchen aus und schreibe kein Wort mehr.


5 Kommentare:

  1. Liebe Jan,

    das ist wirklich ein sehr berührender Text... "Aufräumen in sich und im Aussen" hört sich sehr treffend an, genauso empfinde ich es auch.

    Kargheit und Armut haben für mich nichts mit Spiritualität oder gar "Erleuchtung" (was auch immer das sein soll) bzw. mit einer gesunden Psyche zu tun. Ich glaube, wirklich frei ist nur der Mensch, der seine Abhängigkeiten gegen eine innere Freiheit eintauschen konnte. Wenn die Dinge einen nicht mehr beherrschen, kann man soviel davon haben wie man will - weil sie dann wirklich nur noch dem Zweck dienen, zu dem sie geschaffen wurden und nicht um eine innere Leere zu füllen. Armut ist etwas furchtbares und ich finde es schlimm, wenn den Menschen vermittelt wird, dass sie nur dann glücklich sind, wenn sie nichts mehr besitzen. Der Besitz darf nur sie nicht besitzen, das ist viel wichtiger....

    Liebe Grüsse
    Maja

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Liebe Maja, ich freu' mich über Deinen ausgiebigen Kommentar! Ja, dass weder Armut noch Reichtum (im materiellen Sinne) für innere Freiheit stehen - da bin ich ganz Deiner Meinung. Finde es aber ehrlich gesagt in der Theorie einfacher als in der Praxis...zu der ja doch gehört - scheint mir - mein eigenes Mass immer wieder zu finden (das ist schon ein Programm für sich) und dieses dann auch in meinem Leben und Alltag anzuwenden oder umzusetzen (noch mal ein Programm für sich)!

    Herzliche Grüsse,
    Jan

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  4. Da stimme ich Dir voll zu, Jan. Das eigene Mass zu finden, ist auch für mich noch eine große Aufgabe. Aber ich glaube, dass es leichter wird, wenn ich mich nicht mehr an dem orientiere, was "man" im Aussen so meint, was richtig oder falsch sei. Wie immer halt :)

    Dir wünsche ich ganz viel Erfolg dabei Dein eigenes Mass zu finden und zu integrieren!

    Lg
    Maja

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  5. Nun ist das alles schon eine Weile her (meine Töchter sind inzwischen sechzehn)...ich will nicht behaupten, ich hätte mich nicht mehr mit alledem rumzuschlagen, aber es war sicher ein ganz wichtiger Moment in meinem Leben, damals...und seitdem ist einiges an Wasser den Bach runter gelaufen...
    dennoch kann ich so nette Wünsche immer gut gebrauchen; vielen Dank!

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