Er war ein kleiner, junger Mann aus Irland, mit orangeschimmernden
Haaren. Sie lernten sich kennen, als er Pfleger wurde im Stall, in dem ihr
Pferd stand.
Ihr fiel sofort auf, dass er so schweigsam wie fleissig war; zwar
grüsste er freundlich, wenn sie kam und ging, aber damit hatte es sich.
Sie hatte aber irgendwie das Gefühl, er würde sich gerne unterhalten,
traute sich bloss nicht.
Besonders, wenn nur er und sie im Stall waren, was öfter vorkam, und er
noch dazu gerade die Box ihres Pferdes säuberte, während sie dasselbe, vor der
Box angebunden, bürstete, war sein hartnäckiges Schweigen für sie schwer zu
ertragen…Und da sie immer ihre Krankenschwesterhaube sowie -schürze gebügelt
und gestärkt in ihrer Handtasche herumtrug und das Ganze bei jeder Gelegenheit
herauszerrte um vermeintlich verstörten Menschen auf den vermeintlich rechten
Weg zu helfen, konnte sie auch diese Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen
lassen…
Subtil (so bildete sie sich zumindest ein) gab sie ihm immer mal wieder
kleine Zeichen, die ihm andeuten sollten, dass sie bereit war, ein Gespräch mit
ihm anzufangen. Sie sang zum Beispiel beim Putzen Lieder vor sich hin, von
denen sie annahm, sie seien vielleicht irischen Ursprungs. Oder sie sah ihn
ermutigend an, wenn er vorbeikam und sie mit jemandem anderes ein Schwätzchen
hielt. Oder sie sagte ihm besonders intensiv und zuvorkommend guten Tag, und
verabschiedete sich auf die gleiche Weise.
Naja, irgendwann wagt auch der schüchternste und hartgesottenste Mensch nicht mehr, derart eindringliche
Aufmunterungsversuche unerwidert zu lassen, und nachdem er ihr wochenlang
widerstanden hatte, war der Bann plötzlich und unerwartet gebrochen:
Er stellte sich ab da fast jeden Tag zu ihr, wenn sie ihr Pferd
bürstete und sattelte.
Nicht, dass er seine Schüchternheit abgelegt hätte, nein: er kam,
pflanzte sich neben ihr auf und rang nach Worten. Rang mit sich, seinen Händen,
und steigerte sich von einer Schamröte in die nächste.
Die Freude über ihren Erfolg wurde leider ab sofort von Unbehagen
beeinträchtigt.
Schlimmer noch, jedes Mal, wenn er sich zu ihr gesellte, schien der
Ärmste wie auf der Stelle festgeklebt zu sein.
Er kam einfach nicht mehr weg.
Hätte er wenigstens etwas erzählt, oder Fragen gestellt, wäre das
weniger schlimm gewesen; aber er rang bloss dauernd mit den Händen, wurde rot
und röter und kicherte ohne Unterlass wie eine Ziege.
Es war nicht zum Aushalten.
Ganz davon abgesehen, dass durch sein seltsames Benehmen SIE sich
verpflichtet fühlte, ständig zu reden oder dumme Witze zu reissen, damit der
Wahnsinn der Situation nicht zu sehr auffiel. Schwieg sie nämlich (das hatte
sie zu Anfang ihrer „Freundschaft“ ein paar Mal getan), rührte er sich ebenso
wenig vom Fleck und kichern tat er auch.
Sie wusste nicht mehr ein noch aus.
Was hatte sie da bloss wieder angerichtet.
Zum Glück!!! ging er dann für ein paar Monate nach Irland zurück und ein
anderer Mann übernahm seine Arbeit.
Er kam auch nach seiner Rückkehr nicht wieder in den Stall – sie war
unendlich erleichtert – sondern fand einen anderen Job: Er wurde der rechte Arm
(sozusagen) eines Lastwagenfahrers, dessen Beruf es war, regelmässig die Misthäufen,
die sich in jedem Reit- und Rennstall unweigerlich ansammeln, abzuholen.
Früher war der Fahrer, ein dicker roter Mann mit riesigem Laster sowie
Anhänger, immer alleine gewesen. Dann hatte er sich ein kleines Hündchen
zugelegt, das auf seinem Schoss thronte wenn er unterwegs war, bis er es nach ein
paar Jahren versehentlich überfuhr.
Nach einer ziemlich langen (Trauer?)-zeit legte er sich ein neues Hündchen
zu UND einen Assistenten: den irischen Freund. Wunderbar!
Geht allerdings alles schief, so wie heute morgen, dann kommt sie
gerade in dem Moment zum Reiten, wenn der Misthaufen in ihrem Stall abgetragen
wird. Das geschieht etwa ein Mal im Monat, leider zu unregelmässiger, also
unvorhersehbarer Zeit.
Oh Gott, denkt sie dann, es ist wieder so weit.
Und in der Tat: kaum hat sie ihr Pferd vor seiner Box im Hof
angebunden, schon lässt ihr irischer Freund alles stehen und liegen und –
pflanzt sich händeringend, errötend und kichernd vor ihr auf.
Und während ihr vor Stress der Schweiss aus den Achselhöhlen spritzt,
denkt sie verzweifelt:
Weshalb können wir nicht aufhören.
Wieso grüsst er mich
nicht einfach und lässt mich dann in Ruhe.
Weshalb habe ich meine verdammte
Krankenschwesterkluft damals hervorgeholt, anstatt sie endlich ein für alle Mal
in den Mülleimer zu werfen…
Ein verstörender Text. Gut geschrieben.
AntwortenLöschenMitleiderweckend. Eine Lektion in: wir können/sollen/dürfen unsere Mitmenschen nicht nach unseren eigenen Erfahrungen und Ansichten beurteilen und zu formen versuchen.
Ich habe solche Situationen auch schon erlebt, wo einfach Signale falsch gedeutet wurden, und eine Ermutigung zum Gespräch als Aufforderung zu weiterführenden Handlungen verstanden wurde.
Viele Grüße, Sathiya
(via Rosalies Blog)
Vielen Dank für Deinen netten Kommentar!
AntwortenLöschenUnd in der Tat, der Text erzählt ein geradezu krasses Beispiel von Fehlinterpretation und "Helfersyndrom"...
Liebe Grüsse,
Jan