FABIAN
Als ich vor ein paar Monaten überlegte, was ich denn auf meinen Blog
tun möchte, dachte ich, ja, manche Bücher und was ich an ihnen habe und
Schriftsteller – über die soll was drauf, denn Lesen ist mein halbes Leben,
oder mein viertel jedenfalls.
Hab’ mir damals eine kleine Liste gemacht und da war „Fabian“ dabei,
den ich zum ersten Mal Mitte zwanzig gelesen habe, und mehrmals seitdem. Hatte
sogar schon einen Text angefangen, als ich ihm zwei Mal auf anderen Blogs
begegnet bin – auf „Monalisasblog“ und etwas später auf „Allesmitlinks“ - da
dachte ich: will ich meine ganz eigenen Empfindungen beschreiben, muss ich ihn
sofort selber nochmal lesen.
Diesmal habe ich die Geschichte wie mit mehr Abstand in mir aufgenommen.
In jedem Fall finde ich nach wie vor, dass Kästner ausgezeichnet
schrieb, und das Buch sicherlich sehr gut den Zeitgeist, die Atmosphäre von
Berlin, die wirtschaftliche Lage und die sozialen Umstände zwischen den zwei
Weltkriegen wiedergibt.
Mein Exemplar stammt aus einer Auflage von 1989 (Erstauflage 1931!) mit
einem Vorwort von Kästner und zwei Teilen, die in der ersten Auflage nicht mit
rein durften...Versteh’ nicht recht, weshalb, zumal das Stück, wo Fabians Chef
ihm und seinem Kollegen seinen dicken Bauch mit schlecht verheilender
Blinddarmoperationsnarbe zeigt, begreiflich macht, weshalb Fabian kurz darauf
aus der Firma fliegt, ansonsten bleibt das nämlich ein wenig nebulös…
Und ich dachte: Fabian ist eine Art James Bond – also, wenn James Bond
Germanistik studiert hätte.
Jakob Fabian war nämlich: Wohlerzogen, humorvoll, unergründlich
zurückhaltend, höflich, schreckte jedoch vor keinem Faustschlag zurück wenn’s
um Gerechtigkeit ging, und die Frauen schmolzen nur so dahin – also, eine Art
James Bond – wär’ da nicht die Tatsache, dass er ungewöhnlich stark an seiner
Mutter hing. (Aber wer weiss, weshalb die verschiedenen J.B.’s so geheimnisvoll
und gleichzeitig hartgesotten sind und waren!) – Also gut, Fabian hing sehr an
seiner Mutter. Die krank war, und um die er sich grosse Sorgen machte während
seiner Kindheit. Er und sein Vater hingegen hatten überhaupt keinen Kontakt.
Obwohl sein Vater lebt – und das mit seiner Mutter.
Nun, heutzutage kann ich nicht umhin, einen Teil von Fabians Depression
(jawohl, ich glaube, Fabian war depressiv) darauf zurückzuführen – und auch
sein verqueres Verhältnis zu Frauen – denn: quand même! – er ist ja dauernd in
irgendwelchen schrägen Kaschemmen und sein sexuelles sowie sein Liebesleben
spielt sich nur mit Frauen ab, die er an solchen Orten kennenlernt.
Nun – ganz klar – die Zeiten waren besonders wirr, Fabian hat vom ersten
Weltkrieg ein Herzleiden, ein konkretes – und ein symbolisches – aaah, so ein
sympathischer junger Mann – so ehrlich, anständig, hilft immer und immer den
Schwächeren – was ihn zum Schluss das Leben kostet – und ist mutig in Wort und
Tat, sobald jemand etwas Böses vor hat, und dann dieser riesige Schmerz, den er
mit sich herum trägt, und dennoch ist er gleichzeitig frei, eine Freiheit
innendrin, die ihm sozusagen angeboren ist...
Heute, mit 50 Jahren, denke ich auch: Vernunft und Anstand sind Fabians
Credo, aber er ist in Wirklichkeit voller Wut und Verzweiflung – nun, er ist
noch jung (gerade über 30), lebt in miserablen Zeiten. Er ist radikal – mit
seiner Umwelt, mit sich.
Eine Art Jesus auch - allerdings ohne Wiederauferstehung und mit
Sexleben - der mit 33 stirbt. (Wer hätte gedacht, dass Jesus Christus und James
Bond Gemeinsamkeiten haben?)
Was wär’ wohl aus Fabian geworden, wäre er nicht ertrunken? Vielleicht
ein zynischer Alkoholiker, der mit fünfzig immer noch mit seiner Mutter lebt
(und seinen Vater ignoriert) (und heimlich ins Bordell geht), wenn nicht der
zweite Weltkrieg ihn vollends fertig gemacht hätte…oder aber - auch das wäre
natürlich möglich gewesen - er hätte auch den zweiten Weltkrieg überlebt (wie
sein Alterego Kästner) und hätte noch jede Menge erlebt und geleistet danach
(dito). Hatte Kästner nicht auch was mit seiner Mutter? Verstehen Sie mich
nicht falsch – rein virtuell natürlich – so, jetzt aber ernsthaft: in einem der
Kinderbücher (Emil und die Detektive?) ist der Junge doch auch ganz eng mit
seiner Mama verbunden, wenn ich mich recht erinnere…
Kästners Schreibart erinnert mich ein wenig, oder sogar ziemlich, an
die von Tucholsky, jedenfalls in ihren „leichteren“ Büchern wie zum Beispiel „Schloss
Gripsholm“ (Tucholsky) oder „drei Männer im Schnee“ von Kästner.
Wobei „Fabian“, der ursprünglich „Der Gang vor die Hunde“ heissen
sollte, alles andere als ein leichtes Buch ist.
Eigentlich hab’ ich keine besondere Vorliebe für Satiren, aber in
manchen Fällen ja anscheinend doch.
Nun also. Fabian zählte viele viele Jahre zu meinen unbedingten
Lieblingsbüchern in deutscher Sprache, ich habe ihn wie gesagt mehrmals
gelesen, jedes Mal anders, und diesmal hat sich etwas in meiner Sicht
grundlegend verändert – vielleicht, weil ich jetzt wirklich zu alt (und nicht
mehr deprimiert genug?) bin, um mich zum Teil mit ihm, zum Teil mit einer ihn
liebenden (und rettenden!) Frau identifizieren zu können?
Daran muss ich mich erst mal gewöhnen.
Lieben tu’ ich das Buch, wenn auch anders, trotzdem und weiterhin –
unter Anderem und nicht zuletzt wegen seiner erstaunlichen Aktualität.
Mein Bruder heisst Fabian... und zwar, wegen oder durch dieses Buch.
AntwortenLöschenMeine Mama hatte es gelesen und immer wieder erzählt sie davon.
Und durch Deinen Blogpost hier glaub ich, dass ich das jetzt wirklich auch mal tun muss - Kästner ist sowieso einer meiner Lieblingsautoren... kann also nur gut sein !
LG
boelleli
Ich glaube einfach, dass es ein wichtiges Buch ist...aber das ist rein persönlich (obwohl, nicht ganz: Deine Mutter und ich haben dieses gemeinsam, und sicher noch viele andere!).
AntwortenLöschenIch bin gespannt, zu lesen, was Du von "Fabian" hältst...
Liebe Grüsse,
Jan