Beide – er und sie -
fühlen sich in ihrem jeweiligen Leben miserabel.
Beide sind sich, mehr
oder weniger, dessen bewusst, dass nicht nur die äusseren Umstände – Krieg,
Krise, Industrialisierung – sie zur Verzweiflung bringen, sondern auch ein
krasser Mangel an körperlicher Nähe und Wärme, den ausser ihnen, so scheint es,
niemand sonst in ihrem Umfeld empfindet.
Sie begegnen sich.
Es braucht mehrere
Male.
Beide zögern, jeder
auf seine Art.
Es braucht Zeit.
Sie lassen sich Zeit.
Jedes Gespräch, jeder
Austausch, jede Begegnung ist auf sehr persönlicher Ebene, darauf bauen sie
auf, spüren, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft einander vertrauen
können, gehen aufeinander zu, instinktiv. Werden ein heimliches Paar, und dann
kommt jener gewaltige Schritt, wegen welchem ich noch mal auf sie zurückkomme. Nach einem ganz und gar intensiven Zusammensein, trifft jeder für sich eine meines Erachtens sehr wichige Entscheidung:
Er kann nach ihrem
Abschied keine Ruhe finden, verbringt eine schwierige Nacht, hält es alleine
nicht mehr aus, geht schliesslich im Morgengrauen bis zu ihrem Haus, steht in der
Dämmerung, sehnsüchtig, denkt, er wäre zu allem bereit, um bei ihr zu sein…
Und dann besinnt er
sich: nein, so geht es nicht. Er muss, so spürt er, mit dieser seiner
Einsamkeit zurande kommen, und mit dem neuen Element, nämlich mit seiner neuen
Gefährtin, die ihn immer mal wieder aus seiner Einsamkeit erlöst – aber eben
nur immer mal wieder. Nein, sagt er sich, ich muss sie weiterhin frei lassen.
Ihr Gelegenheit geben, freiwillig zu mir zukommen. Und das kann sie nicht, wenn
ich sie bedränge.
Er kehrt um und geht
nach Hause.
Fast zur gleichen
Zeit – ein paar Stunden vorher – überlegt sie: Ich weiss, ich könnte mich
zurückhalten. Den Mann vielleicht nur als Sexobjekt benutzen.
Viel schwerer ist es
für sie, sich ganz zu öffnen – in jeder Hinsicht. Körper, Herz, Verstand.
Sicherer wäre es, wenn sie das nicht tut.
Aber sie spürt, dass
sie ohne dem nicht voran kommen, in ihrer Verzweiflung stecken bleiben wird,
wie bisher.
Sie sagt sich
schliesslich: ich möchte es – ihm nahe sein in jeder Hinsicht, und will versuchen,
mich nicht mehr zu verbergen.
Das finde ich mutig
und wunderbar.
Ein Risiko eingehen, ja. Unbedingt sogar, weil ohnedem keine tiefe menschliche Beziehung auf die
Dauer einen Sinn macht, und sie beide nach Sinn suchen. Aber nicht irgendeines
und nicht um jeden Preis.
Leidenschaft muss
nicht unbedingt zerstörerisch sein – sie ist es nur dann, scheint mir, wenn man
sie sich nicht eingesteht, nicht zu ihr steht, und stattdessen womöglich völlig
den Kopf verliert. Das tut keiner von beiden – und deshalb geht diese
Geschichte auch nicht schlecht aus.
Womit ich nicht
behaupte, dass sie deswegen und ab da automatisch glücklich miteinander sind
bis an ihr Lebensende!
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